Liebe Offenbacher Künstler und Künstlerinnen, liebe Gäste des Bund-Offenbacher-Künstler,
Als Offenbacher Bürgerin, Kunstinteressierte und beruflich mit der Begleitung von Veränderungsprozessen Vertraute wurde ich eingeladen -Konstanze Schneider sei Dank-, mit ein paar Worten zum Thema Veränderung in diesen Abend einzuführen. Ein Abend der einen weiteren und aktuellen Meilenstein im Wirken des Bunds-Offenbacher-Künstler beschreibt.
Ein Riesenthema in 10 Minuten – wo beginnen?
Ich dachte, ich versuche die Annäherung an das Thema über sein Gegenteil: den Stillstand. Doch sehr schnell drängte sich mir der Gedanke auf, ob es das überhaupt gibt: Stillstand?
So wie einer der Künstler hier sich fragt: »Was passiert wenn nix passiert?«
Und nach einigen Überlegungen behaupte ich, dass Veränderung immer stattfindet. Dass wir alle heute am Ende des Abends diesen Raum anders verlassen werden als wir ihn betreten haben, dass wir wieder ein bisschen älter und um Erfahrungen reifer geworden sind. Wir werden in irgendeiner Weise emotional berührt diesen Raum verlassen, haben neue Perspektiven eingenommen, Gedanken gefestigt oder verändert, neue Kontakte geknüpft, alte gefestigt oder aufgefrischt oder sind in Distanz gegangen. All das ist Veränderung, die Wirkung zeigt, in uns und unserem Umfeld.
Wir werden aus dieser Veranstaltung verändert nach Hause gehen, so wie die Zahnpasta
-einmal entwichen- nicht mehr zurück in die Tube kann. Oder wir nicht zweimal in den selben Fluss steigen können.
Die Erde dreht sich weiter oder wie Wilhelm Busch so schön dichtete: »Eins zwei Drei im Sauseschritt, vergeht die Zeit, wir gehen mit«.
Veränderung ist unumgänglich und das ist gut so. Der Energieaufwand, uns gegen den Strom zu stemmen, wäre ungleich höher als wenn wir mitschwimmen.
Veränderung findet also immer statt, ist nur unterschiedlich stark wahrnehmbar und die Natur hat es so eingerichtet, dass mit Zeiten, in denen Veränderung mal wieder deutlich spürbar oder sichtbar wird, das Bedürfnis nach Verweilen und Bewahren einhergeht. Kräfte des Bewahrens und des Veränderns geraten in Widerstreit – in uns wie zwischen Personen oder Instanzen. Und auch das ist gut so.
Denn das Bedürfnis nach Dauerhaftigkeit verlangsamt den Fluss, zumindest subjektiv, und gibt unserer Seele dadurch Gelegenheit, mitzukommen, aber auch den Schritt in eine neue Zukunft in seinen Details zu gestalten und für uns passend zu machen.
Gleichzeitig braucht umgekehrt die Dauerhaftigkeit, die sich oftmals in routinierten Gewohnheitsmustern manifestiert, die Veränderung, um nicht zu erstarren, zwanghaft zu werden und abhängig zu machen oder die Passung zum sich verändernden Drumherum zu verlieren.
Das Bedürfnis nach Bewahren ist also -wie man zunächst annehmen könnte- nicht das Gegenteil von Veränderung, sondern sie gehören zusammen wie heiß und kalt, hell und dunkel, oben und unten und dieses Wechselspiel hat eine ausgleichende, regulative Funktion.
Stellen Sie sich vor, nach der Wende wären von heute auf morgen alle Gebäude der Ex-DDR saniert und die Plätze aufgehübscht gewesen. Wer wäre da mitgekommen? Und noch ein Aspekt: macht das nicht gerade den besonderen Reiz aus, wenn es eine Übergangszeit gibt, in der zunächst alt neben neu existiert? Im Frühsommer war ich in Erfurt und machte fasziniert ein Foto von diesem Spannungsfeld aus alt und neu. Ich habe ein paar Abzüge davon mitgebracht und wer mag, kann sich hier gerne eines zur Erinnerung an heute Abend mitnehmen.—–
Natürlich gibt es neben all den sanften, natürlichen, wie von selbst stattfindenden Veränderungen auch solche, die wir selbst herbeiführen oder Andere, mit unmittelbarer Auswirkung auf uns. Sie fühlen sich mitunter an, als fielen sie von Himmel und vielleicht geht es dem ein oder anderen auch mit diesen neuen Räumen und der neuen Aussendarstellung des B.O.K. so.
Es gibt Veränderungen, die wir als aktionistisch, grausam, oder als Schnapsidee empfinden. Doch ich gehe davon aus, dass jeder scheinbar vom Himmel gefallenen Veränderung ein oft unbewusster Prozess der Draufzubewegung vorangegangen ist. Ans Tageslicht tritt das Neue erst dann, wenn wir für den Gegensatz zwischen Vertrautem und unpassend Gewordenem eine angemessene Form gefunden haben.
Heraklit hat sich vor über 2000 Jahren intensiv mit all diesen philosophischen Fragen beschäftigt und spricht von der »schönsten Harmonie«, die entsteht, wenn wir Gegensätze zusammenbringen. Nehmen Sie den Gegensatz zwischen Mann und Frau, der neues Leben entstehen lässt oder auch den Gegensatz im ungeborenen Kind, das genährt und gehalten werden möchte, aber gleichzeitig auch wachsen und sich freischwimmen möchte.
In der Psychologie sprechen wir heute von »Veränderungswachstum«, weil man herausgefunden hat, dass jede durchlebte und verarbeitete Veränderung unsere Persönlichkeit wachsen lässt.
Ich möchte dies beispielhaft an einem Künstler festmachen, dessen Romanbiographie ich vor ca 18 Jahren gelesen habe und die mich gerade hinsichtlich des Themas Veränderung nachhaltig beeindruckt hat. Es geht um Michelangelo, zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Von Pabst Julius bekam er den Auftrag, als Bildhauer dessen Grabmal zu bauen. Doch vor der Fertigstellung überlegt er es sich anders und beauftragte Michelangelo, stattdessen die Decke der Sixtinischen Kapelle mit der Schöpfungsgeschichte zu bemalen. Michelangelo war entsetzt. Er sah sich als Bildhauer und nicht als Maler. Wie oft hatte er sich lustig gemacht über Leonardo da Vinci und dessen Arroganz, mit seinem feinen Tuch und Zeichnungen mit spitzen Bleistift. Für Michelangelo gehörte das Sich-schmutzigmachen und in-die-Vollen-gehen zu seiner Berufung. Er liebte den Stein, sah in den unbearbeiteten Marmorblöcken bereits seinen David oder die Pieta und sprach davon, dass er nun nur noch das Drumherum weghauen müsse. Es sei alles schon da.
Doch Michelangelo ging es nicht anders als uns heute: er nahm den Auftrag an, um seiner Familie in Fiesole Geld schicken zu können. Sein innerer Widerstand war groß, und so arbeitete er in sein Werk, das heute jährlich Millionen von Menschen anzieht, Dinge ein, die nicht so ganz der Gottesfürchtigkeit seines Auftraggebers entsprachen, z.B. subtile Symbole für die weibliche Anatomie. Vier Jahre saß er dafür auf seinem Gerüst und ruinierte sich Rücken und Augen.
Bei der Entstehung dieses Werkes waren also eine ganze Menge Gegensätze und Widerstände im Spiel: Innere, weil das Selbstverständnis des Künstlers ein komplett anderes war, als als Maler sein Geld verdienen zu müssen. Äußere zwischen seinem Auftraggeber und ihm. Wer das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle gesehen hat, sieht bestätigt, dass aus diesen Gegensätzen höchste Harmonie entstanden ist. Und dass Michelangelo an diesem Werk -nachdem er sich einmal auf die Veränderung eingelassen hatte- individuell wie künstlerisch gewachsen ist.
Nun zur Kunst der Gegenwart und den hier anwesenden Künstlern:
Auch hier gehe ich von Gegensätzen aus, die zu der Harmonie geführt haben, die wir hier sehen können: ein Raum mit vielfältigen Werken und weißen Wänden mit Raum für Entwicklung. Und darin Kunst, die vielfältiger und bunter nicht sein könnte. Von Künstlern unterschiedlichster Couleur und unterschiedlichster künstlerischer Selbstverständnisse, unterschiedlichster Themenschwerpunkte und Techniken.
Das ist es was Kunst braucht: Prozess vor Produkt, Geschehen-lassen, neugierig-sein auf das was entsteht, wie von selbst und aus sich heraus. Ich wünsche diesem Raum, dass er Kunst nicht einfach konserviert, in einem statischen Rahmen festhält, sondern dass hier Miteinander-Denken und Reflektieren, Auseinandersetzung und Streit stattfinden, die berühren und den Einzelnen persönlich wie künstlerisch bereichern.
Dass der reflektorische Austausch in Jedem sowie zwischen allen Beteiligten hier stattfindet, aber auch – und das wäre wunderbar- wenn der Raum kein abgeschotteter von seiner Umwelt bliebe, sondern ein Raum, der Impulse von außen aufnimmt, transformiert und nach außen aussendet. Und dass diese Impulse von Draußen in transformierter Form wiederrum zurückkommen und willkommen geheißen werden können.
Damit weitere kontinuierliche Veränderung des Bund-Offenbacher- Künstler durch den prozesshaften ergebnisoffenen Austausch innerhalb sowie an den Grenzen zwischen drinnen und draußen stattfinden kann.-
Auch wenn Kunst nicht auf Veränderung abzielt und sich dafür auch nicht funktionalisieren lässt wird sie dennoch Veränderungen anstossen, einfach weil sie was mit den Künstlern, mit ihren Betrachtern und ihrem Umfeld macht. Auch wenn Kunst sich nicht für andere Zwecke einspannen lässt ist Veränderung doch nicht zu verhindern.
So wie sie was mit uns machen wird heute Abend. Vielleicht beobachten Sie sich mal, wenn Sie später diesen Ort verlassen werden und sich auf dem Nachhauseweg befinden: Was hat sich in Ihnen verändert gegenüber dem Herweg? Ich bin sicher Sie finden einiges.
Liebe Gastgeber und liebe Gäste und des heutigen Abends:
nutzen Sie diesen Abend zum Austausch und zum Dialog. Lassen Sie sich berühren und verführen und versuchen Sie zu erahnen, welche weiteren Entwicklungen dieser Raum bereithält. Lassen Sie sich von den Räumen und Werken, aber auch von den weißen Wänden, anstiften, Ideen und Visionen miteinander zu entwickeln.
Dem Bund-Offenbacher-Künstler wünsche ich weiter viel Erfolg und dass die Erneuerung Sie und Ihre Kunst lebendig erhält.
Viva Fialka
Organisationsberaterin und Coach